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Alte Männer und lange Bärte – Teil 2

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In diesem Jahr können wir den 175. Geburtstag der Fotografie feiern. Nicht die erste fotografische Aufnahme gilt als Geburtsstunde der Fotografie, sondern die Erfindung des Negativ-Verfahrens. Besonders für Analogfotografen ist dies ein großes Ereignis, weil auch heute noch die meisten aller jemals gebauten Fotoapparate genutzt werden können – ohne Umbau und ohne Probleme. Fotografieren wie in den Zeiten unserer Urahnen. Eine reizvolle Sache in einer Welt, die scheinbar immer perfekter, automatischer und gleichförmiger wird. In unserer kleinen Artikelserie „Alte Männer und lange Bärte“ unternehmen wir eine kleine Zeitreise durch den fotografischen Raum und schauen hinter die Kulissen. Dabei geben wir Tipps und Ratschläge, wie man auch mit historischen Kameras zum Bild kommt. Im 1. Teil sprachen wir von den Fotoapparaten ohne Verschluss. Im heutigen Teil werden wir ein wenig moderner. Und zudem gibt es Ratschläge, wie man auch ohne spezielles Equipment die Filmformate aus diesen alten Kameras entwickelt.

Von den frühen Tagen der Fotografie bis Mitte der 1920er Jahre war das bevorzugte Aufnahmematerial der Fotografen die Glasplatte, auch Trockenplatte genannt. Auch heute noch gibt es als Spezialität diese mit Fotoemulsion beschichteten Glasplatten. Aber im Grunde war die Handhabung unbequem, der Glasträger empfindlich und der Fortschritt nicht aufzuhalten. George Eastman, Mitbegründer und Vater der noch heute für die Analogfotografie wichtigen Firma Kodak, war einer der ersten, die Glasplatten durch ein flexibles Material ersetzten. Zunächst wurde die Fotoemulsion auf transparentes Papier gestrichen. In einem aufwendigen Verfahren wurde nach der Entwicklung die Gelatineschicht vom Papier abgezogen und auf eine Glasplatte gebracht. Etwas später wurde dieses Verfahren verbessert, die Gelatine-Negative auch ohne Glasplatte etwas haltbarer und alles war recht bequem. Und wie es auch heute so ist, finden die einen Fotografen dies und die anderen das besser – der Eine liebt die fotografische Trockenplatte, der Andere das flexible Trägermaterial der Fotoemulsion. Und schon 1888 standen die Fotografen vor der Wahl. Ob sie eine Kamera mit Glasplatte, oder Planfilm, oder Rollfilm bedienen wollten. Als dann 1891 erstmals der Zelluloidfilm vermarktet wurde, kam dann auch noch die Frage auf, ob das Trägermaterial des Aufnahmemediums aus Glas, Hart-Gelatine oder Zelluloid sein sollte. Alles hatte seine Vor- und Nachteile, mit denen wir uns heute nicht mehr befassen müssen. Und es ist im Grunde auch vollkommen egal welcher Filmträger damals genutzt wurde – unsere heutigen Filmmaterialien passen in diese Fotoapparate, weil sich am Format wenig geändert hat. Das Format ist eines der wichtigsten Kriterien überhaupt.

Die ersten Box-Kameras hatten übrigens schon ein Rollfilm-Format, das dem heutigen Film-Typ 120 nahezu gleich war. Die Box-Kamera war übrigens die „Einstiegsdroge“ für viele angehenden Fotografen. Wer sich etwas näher mit diesem Thema befassen möchte, sollte sich das Buch „Box-Kameras – made in Germany“ kaufen. Es gibt einen sehr unterhaltsam gestalteten Einstieg zu diesem unglaublich spannenden Thema der Fotografikgeschichte. Aber wir wollen uns heute nicht mit den Box-Kameras befassen, sondern mit der „Großformat für die Westentasche“. So wurden die Laufbodenkameras genannt, die um 1890 auf den Markt drängten. Diese Fotoapparate wiesen all jene Konstruktionsmerkmale auf, die eine ausgewachsene Großformat-Kamera auch hatte. Heute würden wir Tilt & Shift sagen, doppelter Laufbodenauszug sorgte für Makro-Einstellung und sogar Reportagen ließ sich über den Schnellschuss-Sucherrahmen problemlos machen. Noch heute stehen wir staunend vor diesen Fotoapparaten und sind von ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten mehr als beeindruckt. Und die beiden beliebtesten Formate in Europa waren 9×12 cm und 6,5×9 cm. Beide Formate sind auch heute noch als Filmformate verfügbar. Zudem waren das beileibe keine primitiven Fotogeräte mehr, sondern mit einem präzisen Verschluss ausgestattete KameIMG_0898webras. Und weil schon vor über 100 Jahren der Markt der Filmformate und Filmausführungen groß war, gab es dann auch noch unterschiedliche Rückteile, die entweder Glasplatten, Planfilme oder Rollfilme aufnahmen. Kleine Wunderwerke, die auch heute noch mit ihrer fotografischen Leistungsfähigkeit überzeugen können. Wie zum Beispiel die „AGFA 408“ und viele andere.

Eine solche Kamera mit einem Rollfilm zu bestücken ist kein Problem, wenn man über das sogenannte „Rollex-Rückteil“ verfügt. Dummerweise sind diese Teile heute selten geworden. Üblicherweise hat man lediglich die Glasplatten- und Planfilm-Kassetten. Sie lassen sich mit den heute üblichen Planfilmen bestücken. Man muss nur das Format beachten und schon kann man loslegen. Nach der Aufnahme will man natürlich den Film entwickeln. Dies geht sehr einfach in der Planfilm-Entwicklerdose von JOBO, wenn es sich um das Format 6,5×9 cm oder 9×12 cm handelt. Wenn man eine amerikanische Kamera hat, könnte es sich auch um das Filmformat 4×5 inch handeln (10,2×12,7 cm). Auch das geht mit der JOBO-Dose. Aber nicht jeder Fotograf will sich für den Einstieg in die Fotografie mit historischen Kameras gleich eine entsprechende Entwicklerdose kaufen. Und auch hier gibt es eine interessante Lösung für das Einstiegsproblem. Man entnimmt im Wechselsack den Planfilm und biegt ihn mit der Emulsionsseite nach innen. Dieses sich bildende Oval fixiert man mit einem Gummi-Ring. Nun packt man das Ganze in eine normale Entwicklerdose (Achtung, dabei das Steigrohr der Entwicklerdose nicht vergessen, sonst kommt Licht in die Dose) und kann wie gewohnt den Film entwickeln. Bis zu drei auf diese Weise gebogene Planfilme passen in eine „JOBO 1520“ oder die von uns vertriebene Kaiser-Dose aus dem Komplett-Paket. Als Chemie-Menge sollte man etwas mehr nehmen, als auf der Dose für die Entwicklung eines Rollfilms angegeben ist. Vorwässern, Chemie hinein, kippen, zwischenwässern, fixieren, alles wie gewohnt. Und wie gesagt, das geht wunderbar mit allen heute verfügbaren Filmmaterialien des entsprechenden Formates.

Und wie macht man das Ganze mit den Glasplatten, also den fotografischen Trockenplatten? Nun ja, Glasplatten lassen sich bekanntlich nicht biegen. Hier ist man also auf die Entwicklung in der Schale angewiesen. Aber auch das ist kein Problem, da es sich um eine orthochromatische Filmemulsion handelt, die bei Rotlicht entwickelt werden kann. Aber wir müssen ehrlich sein, die Glasplatten-Fotografie ist doch schon eine Spezialität und wirklich nicht billig. Bleiben wir also bei den Planfilmen, die weit preisgünstiger sind. Oft wird die Meinung vertreten, dass wir mit den heutigen Filmen nicht mehr „historisch“ fotografieren können. Selbsternannte Fachleute haben aufgeschnappt, dass die früheren Filme orthochromatisch waren und das heute angesagte Filmmaterial panchromatisch oder gar superpanchromatisch ist. Was ist hier der Unterschied?

Streng orthochromatisches Filmmaterial ist sozusagen rotblind. Pan- und superpanchromatisches Filmmaterial „sieht“ alle spektralen Farbbereiche. Zudem wird darauf verwiesen, dass in früheren Jahren die Filmmaterialien nur geringe Lichtempfindlichkeiten aufwiesen. Dies ist nicht falsch. Tatsächlich hatten früher die „hochempfindlichen“ Filme in etwa den Empfindlichkeitsbereich, der in heutiger Übersetzung irgendwo zwischen ISO 25 und ISO 50 liegen würde. Aber schon lange wissen wir, dass diese Aussage nur bedingt richtig ist. Über das „wieso und warum“ müssen wir nicht lange sprechen – Fakt ist, dass auch historische Kameras so lichtdicht und gut konstruiert sind, dass man auch locker einen modernen ISO400-Film darin verwenden kann. Und bei Bedarf geht auch mehr. Nun kommen ein Treppenwitz: Bereits um 1910 wurden Filme durch die Entwicklung in einen Empfindlichkeitsbereich getrieben, der heute unseren ISO 400 Entsprechen würde. Pushen eines Films war also schon in früheren Tagen so angesagt wie heute und was früher ging, geht heute noch genau so. Der Einwurf, dass es früher nur orthochromatische Filme gab löst sich übrigens bei genauer Betrachtung auch in Wohlgefallen auf. Bereits um 1910 kam der orthochromatische Film langsam aus der Mode. In der Werbung der Filmhersteller wurde er sogar als Einsteiger- und Anfängerfilm bezeichnet und war „billig“. Andere Filme begannen ihren Siegeszug – Filmmaterialien, die weniger bis keine Rotschwäche mehr hatten.

Wenn wir uns heutige Schwarzweiß-Filme näher betrachten werden wir feststellen, dass die panchromatischen und superpanchromatischen Eigenschaften durch Farbpigmenteinlagerungen in der Emulsion hervorgerufen werden. Das war auch den Emulsionsherstellern vor 100 Jahren schon bekannt. Zwar gab es noch nicht die heute verwendeten Farbpigmente, aber man mischte schon ähnliche Stoffe bei. Zudem hatte man schon rund 50 Jahre vorher entdeckt, dass Chlorid-, Bromid- und Iodid-Beigaben die spektrale Empfindlichkeit der Fotoemulsion positiv beeinflussen und einer Rotschwäche entgegen wirken. Auch wenn die ab den 1910er Jahren verfügbaren „nicht orthochromatischen Filme“  noch nicht den gesamten Spektralbereich „perfekt“ abbilden konnten, war das Ganze schon recht dicht am heutigen Bildergebnis. Einige Fotografen sind sogar der Ansicht, dass die frühere Bilderanmutung gefälliger war. Ob dies nun auf das Konto der Filmmaterialien, der Entwickler oder der Objektive ging, kann man ruhig den Diskussionsrunden in Fotoclubs überlassen. Im Grund ist es auch egal, weil wir heute sowieso einen ganz anderen Bildstil pflegen, auch wenn wir uns mit alten Kameras befassen. Und Fotografie mit historischen Fotoapparaten macht einfach Spaß – verwendbar ist jedes heute verfügbare Filmmaterial. Genau das ist wichtig daran, weil die Fotografie keine Brauchtumspflege braucht, sondern der Spaß am Hobby im Vordergrund stehen soll.

Im nächsten Teil unserer Artikelserie befassen wir uns damit, wie Bilder früher und heute aussehen können.

#175jahrefotografie

Der Beitrag Alte Männer und lange Bärte – Teil 2 erschien zuerst auf Spürsinn • Der analoge Fotoladen.


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